Wie können wir eine Wirtschaft gestalten, die ökologisch und sozial weniger bis keinen Schaden anrichtet? Ein Lösungsvorschlag lautet: Purpose Economy. Im ersten Teil unserer zweiteiligen Serie gehen wir der Frage nach, ob das wieder nur ein modischer Marketing-Klimbim ist oder tatsächlich ein neues Selbstverständnis für Unternehmen, die zukunftsorientiert wirtschaften wollen.
Wofür stehen wir eigentlich jeden Morgen auf und gehen zur Arbeit? Wie jeder diese Frage für sich beantworten kann, das ist Gegenstand einer ganzen Philosophie und einiger spannender Bücher, die sich mit „Ikigai“ beschäftigen. Ikigai ist japanisch und heißt frei übersetzt etwas wie „wofür es sich zu leben lohnt“. Wenn uns da nur der Gehaltsstreifen einfällt, dann kommen wir vielleicht damit durchs Leben – aber Sinn und Erfüllung werden uns so verwehrt bleiben.
Immer mehr Menschen wollen keine „Bullshit-Jobs“ und suchen stattdessen einen „Job mit Purpose“. Und das ist richtig so, denn wenn wir ein Drittel unseres Lebens mit Arbeit verbringen, sollte diese sinnvoll sein und dem Gemeinwohl dienen. Sonst hätten wir ja ein Drittel unseres Lebens sinnlos vergeudet.
Purpose Economy: Sinn im Unternehmensleben
Der Wirtschaft kann ein Umdenken ebenfalls nicht schaden. Jahrelang galten vor allem Rendite- und Gewinnmaximierung als das oberste Ziel, an dem alle unternehmerischen Entscheidungen ausgerichtet wurden. Im Ergebnis haben wir nicht wenige Unternehmen, die fragwürdige Dinge produzieren und der Umwelt, Menschen und Gesellschaft eher schaden als nützen. Eine Ahnung davon vermittelt der Dokumentarfilm „The Corporation“, der Unternehmen betrachtet, als wären es Menschen – und zum Schluss kommt, dass die meisten sich wie Psychopathen verhalten.
Die Purpose Economy bietet hier eine faszinierende Alternative. Die Grundidee: Unternehmen setzen nicht mehr ausschließlich auf Profitmaximierung, sondern auf Maximierung des Gemeinwohls. Die Wurzeln dieser Idee reichen weit zurück, vor allem Aaron Hurst prägte den Begriff Purpose Economy für eine Wirtschaftsweise, die den Sinn und Zweck für den Menschen in den Vordergrund stellt.
Im Prinzip gibt es das schon länger, man denke nur an Gemeinnützige Vereine und Gemeinnützige GmbHs. Aber im Zuge der nachhaltigen Transformation erlebt jetzt auch die Purpose Economy ein gesteigertes Interesse.
Was ein Purpose-Unternehmen auszeichnet
Einer der Treiber für eine Purpose Economy ist unter anderem die Generation der Millenials. Mehr als die Generationen vor ihnen erwarten sie, dass Unternehmen über den finanziellen Gewinn hinaus einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten. Vor allem solchen Unternehmen wollen sie etwas abkaufen, vor allem in solche Unternehmen wollen sie investieren, vor allem in solchen Unternehmen wollen sie arbeiten.
Das hat zur Folge, dass Unternehmen zunehmend auf der Suche nach einem „Purpose“sind. Was aber macht ein Purpose-Unternehmen aus? Zum Beispiel diese drei Dinge:
- Purpose-Unternehmen haben einen Zweck jenseits von Zahlen: Dieser ist klar definiert und leitet ihre Entscheidungen und Handlungen. In der Purpose Economy streben Unternehmen danach, sich von ausschließlich wirtschaftlichen Zielen zu lösen und ihre Ziele nachhaltig zu sichern. Es wird ein positiver Effekt auf die Umwelt und die Gesellschaft angestrebt, wie etwa durch den Schutz von Wasserressourcen, die Unterstützung von ökologischer Landwirtschaft oder den effizienten Einsatz von Ressourcen.
- Purpose-Unternehmen sind ökologisch nachhaltig: Die Purpose-Economy legt großen Wert auf nachhaltiges Wirtschaften. Entsprechend bemühen sich Purpose-Unternehmen, die Umweltauswirkungen ihrer betrieblichen Tätigkeiten zu minimieren. Gegebenenfalls versuchen sie noch mehr und wollen einen positiven Impact auf die Umwelt erzielen.
- Purpose-Unternehmen sind sozial nachhaltig: Purpose-Unternehmen streben danach, einen positiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Ihr Ziel ist es zum Beispiel, mit dem Produkt direkt soziale Probleme zu adressieren und die Welt zu verbessern. Zu den Zielen gehört aber auch, mit Kund:innen und Mitarbeiter:innen wertschätzend umzugehen.
Ein Beispiel dafür ist die Suchmaschine Ecosia, deren Zweck es ist, mit den Unternehmensgewinnen weltweit Bäume zu pflanzen. Wohlgemerkt: Die Bäume werden nicht etwa gepflanzt, weil die Marketingabteilung das so möchte, um irgendwelche Gewinnspiele anzuheizen oder irgendetwas Schädliches zu kompensieren. Nein: Die Aufforstung ist das Ziel der Geschäftstätigkeit.
Gemeinwohl-Ökonomie und Purpose Economy
Ein ähnliches Konzept verfolgt die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ), die ich seit Jahren als Kommunikationsexpertin begleite. GWÖ und Purpose Economy fördern beide ein ethisches und nachhaltiges Wirtschaften. Sie fordern zugleich eine Abkehr von traditionellen Geschäftsmodellen, die hauptsächlich auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sind. Beide legen Wert auf soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit; sie wollen nicht nur Schaden vermeiden, sondern positive Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt erzielen. Ihre Unternehmenskultur betrachtet Mitarbeitende nicht als Humankapital, sondern als Teil der Gesellschaft, zu deren Wohlergehen das Unternehmen beitragen möchte.
Es gibt auch Unterschiede. Die Purpose Economy sieht Unternehmen eher als Entitäten, die einen spezifischen, sinnstiftenden Zweck verfolgen. Im Idealfall kann auch ein Purpose-Unternehmen natürlich eine ganze Werte-Charta haben, aus der sich ihre Geschäftsentscheidungen herleiten. Doch ein wesentlicher Unterschied bleibt die Messbarkeit: „Purpose“ lässt sich derzeit nicht messen – die Gemeinwohl-Ökonomie erfasst hingegen den Beitrag eines Unternehmens zum Gemeinwohl nach definierten Kriterien in der Gemeinwohl-Bilanz.
Ich möchte gar nicht beide Formen des Wirtschaftens gegeneinander ausspielen. Die Ziele liegen letztlich nah beieinander und Unternehmen können sehr wohl beide Wege gehen. Ein Beispiel dafür ist der Telekommunikationsanbieter WEtell, der sich als Purpose-Unternehmen versteht und zugleich eine Gemeinwohl-Bilanz veröffentlicht.
Purpose und Verantwortungseigentum
Purpose-Unternehmen haben ein gutes Image, können bessere Mitarbeitende gewinnen und halten, sind innovationsfähiger und werden von Kund:innen und Partnern geschätzt. Das verlockt Konzerne, sich solche Unternehmen einzuverleiben. Sie wollen vom Purpose profitieren, ohne als Konzern selbst einen zu haben oder nach nachhaltigen Werten zu handeln. Beispiele dafür gibt es längst.
Hier kommt das Modell des Verantwortungseigentums ins Spiel: Es zielt darauf ab, die Kontrolle über das Unternehmen fest an den Purpose zu binden. Verantwortungseigentum verhindert, dass die Marke in die Hände von Investoren gerät, die nur ein Spekulationsobjekt suchen und am Purpose nicht interessiert sind. Die Eigentümer:innen können weiterhin strategische Entscheidungen treffen; nur den Purpose können sie nicht ändern. Auch ihre Möglichkeiten, Gewinne zu entnehmen, sind limitiert, weil auch diese an das Unternehmen gebunden sind und vor allem in den Purpose fließen müssen.
Purpose-Marketing: Reklame mit Sinn?
Weil das mit der Purpose-Economy ja so gut klingt, liegt es nahe, „Purpose-Marketing“ zu betreiben. Und hier muss man klar unterscheiden:
- Es gibt Unternehmen, die wahrhaftig von einem Purpose getrieben sind. Ich finde es legitim, dass diese Purpose-Pioniere sich dann auch Gedanken machen oder beraten lassen, wie man diesen authentisch gelebten Purpose nach außen kommuniziert. Das ist natürlich etwas, für das jemand wie ich als Kommunikationsexpertin brennt.
- Es gibt Unternehmen, die auf der ehrlichen Suche nach einem Purpose sind, auch wenn er noch nicht ihr Kern ist. Für sie ist der Wunsch nach Purpose-Marketing unter Umständen der erste Schritt auf dem Weg zu einem tatsächlichen Purpose – analog zu Nachhaltigkeitsberichten, die ebenfalls dazu führen können, die Nachhaltigkeitstransformation im Unternehmen anzuschieben. Ich finde es eine spannende Herausforderung, die kommunikative Transformation zu einer auch unternehmerischen Veränderung zu machen. Mehr dazu im zweiten Teil unserer Purpose-Serie.
- Es gibt Purpose-Bluffer: Unternehmen, die sich den Sinn im Nachhinein aufkleben und ihn vor allem als Marketinginstrument sehen, ohne je die Verpflichtung zu spüren, diesen auch substantiell zu unterlegen. Weil die Purpose-Economy anders als die Gemeinwohl-Ökonomie keine vergleichbaren Kriterien kennt, müsste sie meines Erachtens zeitnah Möglichkeiten entwickeln, solche Bluffer zu entlarven.
Fazit: Purpose Economy ernst nehmen
Eingangs erwähnte ich Ikigai, den Grund, jeden Morgen aufzustehen und sich dem Tag zu stellen. Einige sehen Ikigai als modischen Selbstverbesserungs-Trend – das macht ihn aber erstens nicht schlechter und zweitens ist es für mich vor allem ein sinnvolles Tool, um persönliche Transformation einzuleiten.
So ähnlich sollte man das vielleicht mit dem Purpose sehen. „Purpose-Marketing“ und „Corporate Purpose“ mögen gerade in Mode sein – auch bei Unternehmen, die nicht im Kern einen nachhaltigen Zweck verfolgen. Aber das macht die Idee nicht schlechter: Dass Unternehmen vor allem dem Gemeinwohl dienen sollten, dagegen kann auf Dauer eigentlich keiner argumentieren. Einen authentischen Purpose in die Unternehmenskultur einzuführen kann meiner persönlichen Erfahrung nach auch eine Transformation einleiten, die weit über die oberflächliche Einhaltung von Normen hinausgeht. Lesen Sie im zweiten Teil unserer Serie, wie das am besten gelingen kann: Wie man einen Purpose entwickelt.