„Die Preise lügen. Warum uns billige Lebensmittel teuer zu stehen kommen.“ von Volkert Engelsman und Bernward Geier (Hrsg.)

Gestern haben wir noch Erntedankfest gefeiert. Wunderschön, all diese Menschen in feierlicher Tracht beim Umzug: die Bauern auf ihren auf Hochglanz polierten Traktoren, die süßen Kinder mit ihren selbst geschmückten Obst- und Gemüsekörben, die festliche Musik … Der Gedanke dahinter: Lasst uns danke dafür sagen, was uns die liebe Erde schenkt.

Und heute? Heute geht es gleich so weiter wie bis jetzt – fast 95 Prozent der Deutschen gehen wieder konventionell einkaufen. Tonnen an Plastikverpackungen inklusive, versteht sich. Die Erde, die haben wir ja nun gebührend gewürdigt, die wird das schon aushalten – ein bisschen Pestizide hier, ein viel zu hoher Wasserverbrauch da und Bodenerosion dort – alles halb so schlimm, wie es in der Zeitung steht. Man darf ja nicht Erbsen zählen.

Die Preise lügen

So sind wir: In der Hosentasche vielleicht das neueste iPhone für über 1.000 Euro, aber in den Händen die Einkaufstüten der Lebensmittel-Discounter. Für alles ist Geld da – zum Reisen, zum Bauen, für den/die teuren Flitzer in der Garage. Nur das Essen darf nicht viel kosten! Teure Werbekampagnen machen den Preiskrieg omnipräsent und geben mit Produkten sogar im Centbereich an. Warum ist das möglich?

Weil die Preise lügen!

Wie das nicht nur in Deutschland, sondern weltweit möglich ist, erfährt man aus den 13 Beiträgen verschiedener Experten, die Volkert Engelsman und Bernward Geier als Buch herausgebracht haben. Das Sammelwerk bietet auf knappen 168 Seiten einen ausgezeichneten und ausführlichen Überblick über die Problematik von Billig-Lebensmitteln.

Im ersten Teil findet man analytische Texte, die den wahren Kosten der Lebensmittelproduktion auf den Grund gehen, während im zweiten Teil Fachleute zu Wort kommen, die unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten durchleuchten.

Drei Fazits vorab:

  • Alle Experten warnen einstimmig vor den globalen sozioökologischen Folgen, welche die konventionelle Lebensmittelherstellung zu Niedrigpreisen verursacht.
  • Nur wenn auch die Folgekosten konventionell produzierter Lebensmittel berechnet werden, können die Konsumenten die wahren Kosten sehen.
  • Wir können uns keine günstigen Lebensmittel mehr leisten.

Je nach Herkunftsland und Spezialgebiet reflektieren die Fachautoren über den wahren Preis von Lebensmitteln aus unterschiedlichen Blickwinkeln und äußern verschiedene Begründungen, warum dringendst Handlungsbedarf besteht.

So geht Wissenschaftlerin und Trägerin des alternativen Nobelpreises Vandana Shiva etwa auf die Monokulturen in Indien ein. Es ist mittlerweile bewiesen, dass die kleinen Farmen mehr als die Großbetriebe produzieren. Das trifft übrigens bei weitem nicht nur auf Indien zu. Statt des Ertrags pro Hektar fordert sie einen „Wohlstand pro Hektar“-Indikator. So wird die biodiversitätsbasierte Produktivität einer Fläche untersucht, statt der bloße Warenoutput.

True Cost Accounting (TCA)

Einen Quantensprung würde man mit der Einführung vom True Cost Accounting (TCA) machen, so die Experten. Laut „Nature and More“ ist das TCA „eine neue Art der Buchhaltung“, die nicht nur die üblichen finanziellen Werte innerhalb eines Unternehmens betrachtet, sondern auch die Auswirkungen auf das natürliche und soziale Kapital berechnet. Oder anders gesagt, berechnet sie die Auswirkungen auf das natürliche und soziale Umfeld, in dem das Unternehmen tätig ist. Diese Auswirkungen werden monetär berechnet und in Euro ausgedrückt, so dass die Beträge in die finanzielle Berichterstattung aufgenommen werden können. Die „versteckten Kosten“ der unternehmerischen Aktivitäten, die im alten System noch externalisiert wurden, werden nun sichtbar gemacht und mit in die Bilanzen einbezogen.“

Folgende Kosten müssten laut Vandana Shiva und auch anderen Autoren in der Preiskalkulation nach dem True Cost-Prinzip mitberechnet werden:

  • Kosten von Krankheiten und vorzeitigen Toden von Bauern und Landwirten (u.a. durch Pestizide)
  • Kosten des Bienen- und Insektensterbens
  • Kosten des Vogel- und Artensterbens
  • Kosten der enormen Wasser- und Luftverschmutzung
  • Kosten von Ernteverlusten aufgrund des exzessiven Gebrauchs von Pestiziden, der zur Entwicklung von Resistenzen führt, wodurch Superschädlinge entstehen.
  • Kosten der Bodenzerstörung durch einen massiven Kohlenstoffverlust
  • Kosten durch den Vermehrten CO2-Ausstoß
  • usw.

„Laut der FAO belaufen sich die Umweltschäden derzeit auf 2,1 Billionen US-Dollar. Weitere 2,7 Billionen US-Dollar entstehen durch gesellschaftliche Schäden. Diese externen Kosten spiegeln sich jedoch nicht in den Lebensmittelpreisen von Supermärkten und Discountern wider. Die VerbraucherInnen zahlen sie nur indirekt und ohne davon zu wissen. Aber sie tauchen an anderer Stelle wieder auf, beispielweise in den Kosten zur Aufbereitung von pestizidverseuchtem Grundwasser in Kläranlagen.“ Das bedeutet, dass konventionelle Lebensmittel eigentlich teurer als bio sind. „Noch legen billige konventionelle Produkte diese „externen Kosten“ auf die Allgemeinheit um, während Bioprodukte sie, soweit es geht, berücksichtigen“, erklährt Engelsman die Preisunterschiede.

Eine weitere konkrete Lösung, die in den Beiträgen diskutiert wird, wäre die Ablösung der Monokulturen durch den ökologischen Mischanbau. Oder die Einführung risikobedingter Pestizidenabgaben, wie es in Dänemark bereits der Fall ist. Eine andere Option könnte eine günstigere Mehrwertsteuer für Biolebensmittel sein, usw.

Das Buch inspiriert und motiviert, sich in die Debatte einzumischen oder sich zumindest Gedanken darüber zu machen, welchen hohen Preis wir zahlen, wenn wir nicht aufhören, uns mit Niedrigpreisen selbst zu belügen. Gefragt sind sowohl die Politiker, als auch die einzelnen Konsumenten, die sehr wohl durch gezielte Kaufentscheidungen zum nötigen Paradigmawechsel beitragen können. Indem sie einfach biologische Lebensmittel kaufen. „Jede Entscheidung für oder gegen ein Bioprodukt ist eine Entscheidung für oder gegen den Boden, das Wasser, das Klima, die Artenvielfalt, die sozialen Bedingungen und die Gesundheit“, so Engelman.

„Konventionelle Landwirtschaft stärkt das Prinzip des Nehmens, zielt auf die Steigerung der Profite von Konzernen, denen Priorität vor dem Gemeindewohl gegeben wird. Ökologische Landwirtschaft stärkt das Prinzip des Nehmens und Gebens, bestärkt die Gemeinschaft und erkennt die Rechte des Bodens und der Erde, der Tiere und der Menschen an. Im Fokus der ökologischen Landwirtschaft stehen die Regeneration des Ökosystems und das Gemeindewohl“, schreibt Vandana Shiva in ihrem Schlusswort.

Ist es nicht das Letztere, was wir beim Erntedankfest schließlich feiern?


Über die Autoren von „Die Preise lügen“

Der Ökonom Volkert Engelsman ist Mitbegründer des holländischen Bio-Unternehmens EOSTA – eines der innovativsten Import-, Verpackungs- und Vertriebsunternehmen von frischem Bio-Obst, -Gemüse und -Säften in Europa. Weltweite Aufmerksamkeit erreichte er mit dem Rückverfolgungssystem „Nature & More“. Aktuell betreibt er die Kampagne „Die wahren Kosten von Lebensmitteln“. Engelsman führt die Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten im Bereich Nachhaltigkeit in den Niederlanden an.

Bernward Geier ist Aktivist, Journalist, Buchautor und Filmemacher. In der Vergangenheit forschte er als Agrarwissenschaftler am Institut für Biolandbau an der Uni Kassel. Zudem war er 18 Jahre Direktor des Weltdachverbands der biologischen Landbaubewegung (IFOAM).

Das Rezensionsexemplar wurde mir kostenfrei vom oekom Verlag zur Verfügung gestellt.


Buchinformationen

Autoren: Bernward Geier, Volkert Engelsman (Hrsg.)
Titel: „Die Preise lügen. Warum uns billige Lebensmittel teuer zu stehen kommen.“

Verlag: oekom verlag München, 2018, 168 Seiten

ISBN-13: 978-3-96238-006-9

Erscheinungstermin: 26.02.2018

Preis: 16 Euro

Online bestellen: z.B. bei Buch7 und Ecobookstore


Weiterführende Informationen

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